Der Retro-Podcast. Popkultur und Persönliches von gestern, vorgestern und vorvorgestern.

015: Das alles sind wir

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Bis sie sieben Jahre alt war, lebte Diana in einem Land, das es heute nicht mehr gibt: in der Deutschen Demokratischen Republik. Viele Jahre später brachte ihr Beruf sie nach Lüdenscheid.

Jan hingegen bewegte sich in der entgegengesetzten Richtung. Er war als Kind sehr oft mit seinen Eltern in Thüringen, denn dort hatten sie Verwandtschaft.

Wie war das, als Kind in einem geteilten Land zu leben? Wie nahm man den jeweils anderen Teil wahr? Wie fühlte es sich an, als die beiden Hälften plötzlich wieder eins waren? Und sind sie bis heute gut zusammengewachsen? Diesen Fragen spürt Sebastian mit seinen beiden Gästen nach, so gut man das in knappen zweieinhalb Stunden tun kann. Eins finden die drei auf jeden Fall raus: Das alles, von Heinsberg bis Görlitz, sind wir.

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014: Der Klang der Achtziger

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016: Mahlzeit

  1. Die Gesellschaft, in der Diana Mitglied war, hieß ‚Deutsch-Sowjetische Freundschaft’ (DSF). Die Organisation wurde nach dem Ende der DDR aufgelöst und in den einzelnen Bundesländern der früheren DDR gibt es Landesgesellschaften für deutsch-russische Freundschaft. In Berlin ist das beispielsweise der Verein ‚Berliner Freunde der Völker Russlands’.

    Freundschaft heißt im Russischen Druschba (Дружба), was den Namen der durch die Slowakei laufenden Pipeline besonders lustig mach: Die heißt Freundschaftspipeline.

    Das „Völkchen hinten in Sachsen“ sind die Sorben, die einzige slawische „autochthone“ Minderheit in Deutschland bzw. das einzige slawische Volk auf dem heutigen Gebiet Deutschlands, welches nicht im Laufe der vergangenen 1.000 Jahre durch die Germanen ausgerottet wurde – da sie sich gut in den dichten Wäldern des Spreewalds beispielsweise verstecken konnten. Die Sorben siedeln im Süden Brandenburgs und im Osten Sachsens – der heutige Ministerpräsident Sachsens Stanislaw Tilich gehört dieser ethnischen Minderheit an.

    Interessant auch eure Sprache, wenn ihr vielleicht nicht allzu sehr drauf geachtet habt: Sebastian, die erwähnte Oma ist nicht nach Deutschland gekommen, sondern in BRD. Aber am Ende sagt ihr ja, das alles sind wir 🙂

    Bei dem Datum der Schaffung der jeweiligen Staaten hat euch die Erinnerung wohl einen Streich gespielt: Die BRD gründete sich am 23. Mai 1949 und die DDR folgte erst am 7. Oktober 1949. Es war bis weit in die 1950er Jahre auch sowjetische Politik, dass man in Moskau nicht mehrere deutsche Staaten, sondern ein vereintes neutrales Deutschland wollte.

    • David, danke Dir vielmals für Deine Hörtreue, die ausführlichen Ergänzungen – und dafür, daß Du Nachsicht mit meiner sprachlichen Unschärfe hast.

      Was Du schreibst, möchte ich gern in die Feedback-Abteilung von Folge 16 einbauen. Falls Du Zeit, Lust und Technik hast, das vielleicht sogar selbst einzusprechen, fänd ich eine MP3 von Dir echt super. Sonst bring ich es natürlich auch gern selbst.

      Bis die Tage,
      Sebastian

  2. Sehr interessante Folge zumal ich zwar jetzt nicht in Lüdenscheid lebe, aber wie Diana gebürtig aus Thüringen stamme (genauer aus dem wunderschönen Kahla ganz in der Nähe von Jena). Zur Wiedervereinigung 1990 war ich 11, also ein klein wenig älter als sie.

    Was mir am prägensten von meiner DDR-Schulzeit in Erinnerung geblieben ist, sind hauptsächlich „außerschulische“ Aktivitäten. Z.B. haben wir regelmäßig als Klasse am Nachmittag Altpapiersammlungen gemacht. Da sind wir in Gruppen mit einem kleinen Handwagen von Haus zu Haus gezogen und haben dort das Altpapier abgeholt. Meist war das sogar schon in Bündeln verschnürrt und wenn der Wagen voll war sind wir zur SERO-Annahmestellen gelaufen (SERO = SEkundärROhstoffe, also Recyclingmüll^^). Dort wurde das gewogen und ich glaube es gab 11 Pfennig pro Kilo. Das Geld ging dann in die Klassenkasse und wurde auf Klassenfahrt dann für ein Eis oder sowas benutzt.

    Da in der Regel beide Elternteile berufstätig waren, war auch der Nachmittag durch die Schule organisiert. Im ersten Schuljahr gab es im Hort sogar noch Mittagsschlaf, was zumindest bei uns blöd war, da der Raum nie richtig verdunkelt werden konnte und ich im Hellen als Kind nicht einschlafen konnte. Danach wurden Hausaufgaben gemacht und ich glaub um vier gings nach Hause. Ab dem zweiten Schuljahr haben wir dann den Gruppenrat gewählt und wir waren nur noch ab und an nachmittags in der Schule, z.B. um die Wandzeitung zu gestalten oder so was in der Art. Und in den Ferien (zumindest den 8 Wochen Sommerferien) gab es im Hortgebäude unserer Schule immer eine ganztägige Ferienbetreuung.

    Und neben der Patenbrigade (die bei uns im ortsansässigen Porzellanwerk war) hatten wir auch noch eine Patenkompanie in der nahe gelegenen Kaserne der Roten Armee. Da verwundert es nicht, das wir im Schulsport neben Kugelstoßen auch Weitwurf mit Plastikhandgranaten geübt haben.

    Und einen ganz besonderen Geruch verbinde ich noch mit meiner DDR-Schulzeit. Nämlich wenn bei uns das Dach neu geteert wurde, was mindestens einmal im Jahr der Fall war. Dann stand auf dem Hof ein kleiner mobiler Teerkocher, in dem die schwarze Pampe fröhlich vor sich hin blubberte. Und wer jemals bei brütender Hitze diesen ganz speziellen Geruch hat „geniessen“ dürfen, der vergisst den so schnell nicht wieder. 😉

  3. (2. Versuch, den Kommentar zu posten)

    Tolle Sendung und schön, dass mal eine Frau dabei ist!

    Ich weiß noch sehr gut, wie ich als Kind abends vor dem Fernseher saß und über Wochen in den Nachrichten beobachtete, was da passierte. Die weltpolitische Bedeutung dessen, habe ich – Jahrgang 78 – natürlich erst viel später begriffen, aber ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie irritiert ich über die Feststellung war, dass es zwei Deutschlands gab.

    Als angeheirateter Rumäne finde ich an den rumänischen Ereignissen um 1989 äußerst spannend, dass ausgerechnet Sergiu Nicolaescu ein führender Kopf der Revolution war. Denn da dieser ein berühmter Regisseur und Schauspieler war – Ihr kennt ihn vielleicht von „Der Seewolf“ oder „Die Daker“ – hält sich in Rumänien bis heute der Glaube, dass die ganze Revolution inszeniert gewesen sei. Demnach hätten die Machthaber einfach Ceausescu geopfert und ein paar Demonstranten erschossen, um ein bisschen Revolution vorzugaukeln, insgeheim aber an der Macht zu bleiben. Mein Schwiegervater ist da felsenfest überzeugt von. (Dass Hannibal mit Elephanten über die Alpen gezogen ist, hält er hingegen für einen völlig albernen Gedanken.)

    Der Koffer von Siebenstein war gruselig? NICHTS war gruseliger als die Kosmokatze von Dr. Snuggles!

  4. Anarch

    Falls die Sicht von aussen auf das geteilte Deutschland interessiert:
    Was all die Jahre abgegangen ist, habe ich eigentlich erst ab dem Tag des Mauerfalls angefangen zu begreifen. Da war ich 10.
    Davor gab es für mich nur irritierende Momente im TV. Zum Beispiel, weil Deutschland bei Sportveranstaltungen zwei Mannschaften hatte oder weil bei irgendwelchen Shows (Vermutlich «Lass dich überraschen») Leute in Tränen ausbrachen, weil sie ihre Verwandtschaft in Bonn (?) besuchen durften. Obwohl es nicht meine unmittelbare Geschichte angeht, so kriege ich heute noch Gänsehaut, wenn ich die Nachrichtenbilder des Mauerfalls sehe, insbesondere, wenn sie mit Wind of Change unterlegt sind.
    In Berlin besuchte ich in den 2000ern das Stasimuseum und es wirkte auf mich surreal, was da ein paar hundert Kilometer entfernt an Spionage abgegangen sein soll. Wirtschaftlich gedacht kann es doch nicht rentiert haben, jemanden monatelange aus einem Müllcontainer heraus observiert zu haben und diese vielen hundert Stunden Tonbandaufnahmen transkribiert zu haben! Verrückt… Von den Haftbedingungen bzw. der Folter will ich gar nicht anfangen. Gruselig. Und irgendwie wurde alles auf Ampelmännchen, Bananenmangel und Trabis reduziert.

  5. Eine sehr unterhaltsame und tiefsinnige Folge. Toll!

    Die Einkünfte an Devisen waren für die DDR vielfältig. Freikauf inhaftierter Regimegegner und Mindestumtausch von 25 DM pro Tag waren nicht alles. Intershops dienten wie berichtet dem Abschöpfen der Devisenvorräte bei Privatpersonen. Aber die Regierung der DDR rührte auch mit Schalk-Golodkowski auch im großen Wirtschaftsbottich mit. Und wir hatten damals unsere Billiglöhner in der DDR sitzen. Es hat immer jemand für unseren Wohlstand mit der eigenen Armut bezahlt, wie praktisch, dass wir diese Menschen damals nicht sehen mussten. Die Mauer hielt sie uns vom Hals. Sorry für den Sarkasmus. Franz Josef Strauß wusste um die Qualität des Arrangements, und sein Milliardenkredit hat den Laden noch ein paar Jahre laufen lassen.

    Massen von Konsumprodukten kamen aus der DDR. Das Ikea Billyregal war bekanntlich ein Produkt der Zwangsarbeit aus DDR-Gefängnissen. Alles was „Privileg“ hieß im Versandhandel, vom Kühlschrank bis zum Herd, kam aus der DDR. Selbst konnten sich diese Menschen das niemals kaufen. Praktica Kameras mit Optiken von Carl Zeiss Jena. Feuerfestes Haushaltszeug aus „Jenaer Glas“, Massen von handgefertigten Weihnachtsartikeln aus dem Erzgebirge, und vieles mehr.

    Nach 1989 gab es nachvollziehbar Frust und Enttäuschung, denn statt Kohls „blühender Landschaften“ folgte der Kahlschlag. Westdeutsche Konzerne wollten keine Ostkonkurrenz. Der Kühlschrankhersteller Foron hatte den ersten FCKW-freien Kühlschrank. Im Westen hieß es zuvor „Das ist nicht umsetzbar.“ Die Rache folgte. Abgewickelt!

    Unter Birgit Breuel und ihrer Treuhand fand eine beispiellose Zerstörungsorgie statt, denn wozu sollte man zukunftsfähige Unternehmen im Osten erhalten, wenn man doch den ganzen Osten mit etwas gesteigerter Produktion (und Gewinn) aus dem Westen ganz easy mit versorgen konnte? Das ist Helmut Kohls bitteres Erbe, und wer so übel über den Tisch gezogen wurde, der hat einen verständlichen Rochus auf die Blender aus dem Westen.

    Auch ich bin froh, dass ich die DDR durch meine Verwandtenbesuche in Sömmerda und Reichenbach Vogtland kennenlernen durfte. Lebensmittel durfte man massenhaft gern mit „hinein bringen“, denn sie wussten: alles was per Paket oder Besuch an Fressalien geschenkt wird, entlastet unsere eigene Lebensmittelproduktion. Mein Onkel bat einmal um alles „Tomatige“, weil es das gerade nicht gab. Ich reiste mit Frischen Tomaten, Tomatenmark, Dosentomaten, Ketchup… der Grenzer sagte „Nu soochn se mool wollnse hior’n Domoodnlodn uffmochn?“ Ich sagte nur: „mein Onkel bat mich das mitzubringen“. Zu meiner Bestürzung sah ich, dass leere Verpackungen wie After Eight oder ausgetrunkene Lokörflaschen aus dem Westen sorgsam in der Wohnzimmervitrine verwahrt und sogar mit Ostschnaps aufgefüllt wurden. Kostbarste Devotionale war der geschmuggelte Quelle Katalog. Schickte ich mal einen schwereren Brief, sagte meine Tante immer „Oooch, däs schöne Westporto!“

    Trotz des ganzen Mangels habe ich wunderbare Erinnerungen an meine Besuche. Die steile Holztreppe im Haus, der urige Badeofen vor der frei stehenden Wanne, dieser eigentümliche DDR-Geruch, die gemütliche Küchenatmosphäre bei meiner Tante, die mit Einkochen und allerlei Bückware aus dem HO uns bei den Besuchen immer einen wahren Überfluss bescherte, fast muss man sagen „vorgaukelte“, der nur mit großer Mühe zu erzielen war. Die gemütlichen Sommernachmittage mit vielen leckeren Kuchenkreationen im großen Garten bei Wernesgrüner Bier, dort wo das Gemüse für die nahende Einkochsaison heranreifte. Auch meine Tante war (evangelische) Christin und der Kommunismus konnte sie darin nicht beirren. Leider liegt sie nun dement im Pflegeheim, diese gute warmherzige Seele.

    Wenn ich mich richtig erinnerte, so waren die Bistümer der katholischen Kirche niemals an die neue innerdeutsche Grenze adaptiert worden, und die Würdenträger konnten relativ unbehelligt aus beiden Richtungen reisen. Ich denke, dass dem Regime schon klar war, dass Kirchen eine große Leistung in karitativer Hinsicht leisteten und somit willkommene Haushaltsentlastung bedeutete. Wir nutzen öfter den Grenzübergang Helmstedt / Marienborn, aber auch mal Herleshausen…

    Im Zuge der Wiedervereinigung wurde vieles falsch gemacht. Aus der Rückschau kann man das beklagen, aber nicht rückgängig machen. Dass man es im Westen so begriff, dass der Osten nur das „Beitrittsgebiet“ war, ist vielleicht der größte Denkfehler. Millionen haben in der DDR mit Inbrunst und Engagement gearbeitet, ob als überzeugte Kommunisten oder nur aus professionellem Brennen für den Beruf, jedoch wurde allzu oft respektlos deren Lebenswerk beiseite gewischt nach dem Motto „Ihr habts ja doch nie geschafft“.

    Klassenfahrten bei westlichen Schulen sollten nach Görlitz, Hiddensee oder Dresden gehen, nicht so oft nach Paris, London oder Barcelona. Dass viele Erwachsene aus dem Westen noch niemals in den „neuen Ländern“ waren, finde ich skandalös.

    Vielleicht noch ein kleiner Geheimtipp? Wer kennt den ältesten Flugplatz der Welt? Na? Stölln bei Stendal in Sachsen-Anhalt. Da, wo alles begann, mit Otto Lilienthal. Heute steht dort eine IL62 der Interflug, kleines Museum, Denkmal. Muss man gesehen haben!

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