Der Retro-Podcast. Popkultur und Persönliches von gestern, vorgestern und vorvorgestern.

060: Kriegt der Kleine noch ne Scheibe Wurst?

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Es war einmal ein umstrittener Mann, der hieß Jeff und war steinreich. Als Jeff noch klein und arm war und keinen eigenen Laden hatte, verließen die Menschen ihre Häuser und suchten Geschäfte auf. Um Nahrungsmittel zu holen. Und Dinge, die unter das rätselhafte Rubrum „Kurzwaren“ fielen. Millionen Kinder wurden in Klamottenläden ins Langeweile-Wachkoma versetzt, nur um ein paar Meter weiter mit glänzenden Augen vor den wunderbarsten Spielwaren zu erstarren. Und doch gab es damals längst nicht alles zu kaufen, weil besagter Jeff noch zu klein und zu arm war.

Aus dieser Zeit erzählen euch heute Sebastian, Jan und Simon Geschichten am laufenden Kassenband. (Und raunen sich dabei immer wieder ein geheimes Zauberwort zu: „Globus.“)

Dies ist der zweite Teil unserer Konsum-Rückschau. Der erste Teil umfaßte die Historie eines untergegangenen Einkaufszentrums in der Lüdenscheider Provinz, unsere Folge Nummer 17: Jäger des verlorenen Centers.

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059: Unser 1994, Teil II – 16. bis 31. Januar

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061: Die Spielemaschine der Neunziger

  1. Wolfgang Vogt

    Guten Morgen Rückspultasten-Team,

    ich habe die Folge noch nicht gehört, aber freue mich sehr darauf. Mein Gefühl sagt mir, dass es wieder ein Meisterwerk sein wird. Mit manchen Themen kann ich nicht so viel anfangen, aber Ihr macht megatolle Sachen, wie z.B. die Jahresrückblicke oder Der Ernst des Lebens. Die Ernst-Folge ist für mich neben dem City Center und der Commerzbank der Gipfel Eures Schaffens. Ganz große Podcast-Kunst.

    Macht weiter so und Alles Gute

    Wolfgang

  2. Kiki L.

    Hallo die Herren,
    Also die erste Hälfte (bisher gehört) ist wie immer sehr amüsant und lädt zum Erinnern ein.
    Mein Senf: bei uns in der Rathmecke/ am Dickenberg gab es in den 80ern noch das volle Programm: Bäcker, Fleischer, Gemüsehändler, Tante Emma und Schlecker.
    Und noch den besonderen Service der Wagenläden, denn an verschiedenen Tagen kamen der Kartoffelmann, der Eiermann, die Bäckerei und sogar der Supermarkt mit kleinen Lastwagen durch die Straßen und hielten alle hundert Meter an zum Verkauf. Dazu machten sie mit verschiedenen akustischen Signalen auf sich aufmerksam, vom Krähen bis zu Big Ben.
    Das war nicht nur für den Einkauf praktisch, sondern bot der versammelten Nachbarschaft auch die perfekte Gelegenheit zum Austausch.
    Und ne Scheibe Wurst oder so gabs für uns Kinder auch.

    Vielen Dank für die Nostalgie!
    LG Kiki

  3. Matze

    Super, ich kann mich an die Pfandrückgabe gar nicht mehr errinern. Bei uns im Dorf gab es auch nen Metzger und nen Tante Emma Laden. Das einzige, was sich gehalten hat, ist der Aldi, der dann irgendwann kam. Und zum Thema City Center/Globus: der Stapelcenter in Altena könnte ähnliche Geschichten erzählen. Der hatte fast so viele Inhaber Wechsel wie andere Leute Unterhosen. Im Zeitungsarchiv kann man da aber nicht mehr schauen, beide Lokalzeitungen gibt es schon lange nicht mehr.

  4. Olli

    Sehr unterhaltsame Folge, vielen Dank! Der interessanteste Punkt kam meiner Ansicht nach allerdings von Simon. Der Simon, der in der vorletzten Episode nicht müde wurde zu predigen, wie unwahrscheinlich bis unmöglich ein Zusammenhang zwischen Filmen (egal wie derb, bishin zu Splatter) und dem Handeln von Kindern und Jugendlichen sei? Hat dieser Simon tatsächlich erzählt, dass er sich nach dem mittelmäßig „mitnehmenden“ deutschen Thriller „Abwärts“ mit Götz George jahrelang nicht mehr in Aufzüge getraut hat? Geht beides irgendwie nicht ganz zusammen, oder liege ich da falsch🤔

    • Simon

      Moin Olli,
      danke für Deinen Kommentar und schön, dass Dich die Folge unterhalten hat.

      Drei Anmerkungen dazu:

      1) Ich empfehle Dir, die vorletzte Folge „Jenseits des Rauschens“ nochmal genau zu hören, vielleicht etwas weniger selektiv und vereinfacht. Dann wirst Du feststellen, dass das doch eine Spur vielschichtiger ist, was wir zu dem Thema zu sagen haben. Stichwort: Wahrheit und Wirklichkeit. Vielleicht trotzdem mal ein Zitat von mir, Zeitstempel 1:31:23: „Natürlich sollte ein 6-Jähriger nicht ‚Cannibal Holocaust‘ sehen. Darüber müssen wir uns glaube ich nicht streiten, [denn] kann ein so junger Mensch das gar nicht verarbeiten, was er da sieht. Und einordnen, das ist ja das Wichtige [dabei], die Einordnung.“

      2) Zu „Abwärts“: Ich war vielleicht 7 oder 8 Jahre alt. Ich bin danach eine Zeitlang nicht gerne Aufzug gefahren, weil ich an den Film denken musste, der in meiner 8-jährigen Welt alles andere als ein „mittelmäßiger Thriller“ war. Es ist aber zum einen nicht so, als hätte ich danach andere Menschen in einen dunklen Aufzugschacht gestoßen. Zum anderen war diese Phase kurz darauf wieder vorbei. Heute fahre ich jeden Morgen mit der Erleichterung Aufzug, keine fünf Stockwerke gehen zu müssen.

      3) Ich hoffe doch sehr, dass das diese kleine Anekdote aus meiner Kindheit nicht wirklich der interessanteste Punkt war, den Du aus vorliegender Episode gezogen hast. 😉

      Viele Grüße
      Simon

  5. Ralf

    Tach Ihr Rückspuler,
    nach 3 Tagen Dauerhören habe ich noch 5 kleine Ergänzungen.

    1) Wo haben die Leute früher ihre Haushaltsgeräte gekauft? Elektro Mickenhagen in der Werdohler Str. war ein Anlaufpunkt für die komplette weiße Ware – wenn man die entsprechend dicke Geldbörse hatte.
    2) Der Schuhladen in der Kaufhalle hieß meines Wissens nach BATA.
    3) Mit Beziehungen zur belgischen Garnison konnte man sehr günstig in deren Kaufhaus „CMC“ in der Bräuckenstrasse wo heute die Einkaufsmeile mit REWE, usw. ist einkaufen.
    4) In der Worthstrasse gegenüber dem Kiosk gab es früher noch den kleineren Supermarkt AKZENTA. Da musste man ein paar Stufen runter ins Gebäude, um in den Laden zu kommen.
    5) Bernd Bartkowiak hatte, soweit ich weiß, noch einen zweiten Spielzeugladen in Plettenberg, den er nach Schließung des Lüdenscheider Ladens noch weiter geführt hatte. Und zur Weihnachtszeit 2013 hatte er vor einigen Jahren sein altes Spieleparadies noch mal genutzt, um dort besondere Spielwaren zu verkaufen (https://www.come-on.de/luedenscheid/schnelle-geschaeft-spielzeug-3244792.html).

    Gruß aus Othlinghausen

  6. Hallo Ihr drei. Vielen Dank für die wunderbare Folge, welche mal wieder die eigene verstaubte Erinnerungskiste vom zerebralen Dachboden geholt hat. Der Einkaufssamstag bei uns hatte ähnliche Highlights. Habt ihr schon mal über eine Rückspultaste-Stadtführung durch Lüdenscheid in irgendeiner Form nachgedacht? Ich würde mich drüber freuen. Außerordentlich gute Grüße von den Podcastnachbarn.

  7. Fonz

    Nachdem ich treuer anonymer Hörer aller Folgen ohne eigene Einbringung hier in der Kommentarfunktion war, breche ich heute mal mein Schweigen und teile meine Einkaufserfahrungen. Was Lebensmittel angeht muss ich direkt sagen: Ich habe keine Erfahrungen. Meine Eltern hatten einen eigenen kleinen Milch- und Lebensmittelladen, der als „fahrendes Geschäft“ fungierte. D.h. alle Waren waren in einem umgebauten Mercedes D 407 (inkl. aufladbares Kühlregal) untergebracht und fuhr durch halb Lüdenscheid zu den Kunden. Das Auto hatte vorn Schiebetüren und an der Seite eine Aufstellklappe, an der die Kunden stehen konnten. Morgens wurden vor allem viele der kleinen Lüdenscheider Firmen angefahren, um sowohl vorbestellte Milch (Kakao, Buttermilch etc.) abzugeben und zum anderen, die Mitarbeitenden mit belegten Brötchen und anderen Sachen für ihre Pause auszustatten. Im Laufe des Tages und vor allem am Nachmittag fuhren meine Eltern dann durch Wohngebiete und konnten da Kundinnen und Kunden begrüßen. Bis 1973 bzw. dem Tod meines Opas, der das Geschäft schon von seinem Vater übernommen hatte, gab es auch einen keinen Laden in der Kölner Str. gegenüber der Augustastraße. Davor einen in der Börsenstraße, der dem Bau des Knödler-Zentrums (?) weichen musste. Zu dem Laden in der Kölner Str. gibt es die Episode, dass eines Tages eine Dampfwalze sich in der recht steilen Augustastraße verselbständigte und in unseren Laden rollte. Zum Glück wurde niemand verletzt. Ab und an (in Ferien zum Beispiel) bin ich mitgefahren und habe geholfen. Hat meiner Kopfrechnenfähigkeit gut getan. Ich kannte natürlich nicht alle „Codes“: ein Kunde an einer Firma bestellt bei mir ein „Weizenbrötchen in Papiertüte“. Als ich ihm genau das geben wollte beschwerte er sich und mein Vater ging zum Alkoholregal im Wagen, holte einen Weizenkorn-Glasflachmann und steckte den eben in die Papierbrötchentüte… Die oben erwähnten belegten Brötchen habe ich zusammen mit meinen Eltern und meiner Oma morgens immer geschmiert. Heute würden wohl die Hygienevorschriften so einer Sache im Weg stehen, aber „damals“ stand ich morgens pünktlich um 6.00 vor der Schule auf, um mitzuhelfen. Es gab sogar eine Zeit, in der ich Dank meines guten Schlafes nur mit dem Weckruf „Brötchen“ aus den Träumen gerissen werden konnte. Neben Mett, Käse und Wurst gab es auch Fleischsalatbrötchen. Eines morgens standen wir in der Küche, um alles zu schmieren – das waren jeden Tag ca. 70 Brötchen, also 140 Hälften – als plötzlich der Strom weg war. Ich wollte in den Keller, um nach der Sicherung zu schauen, als ich bemerkte, das im Bad noch ein wenig Licht flackerte. Die Waschmaschine stand in Flammen. In so einer Situation wird ja zumeist das einfache kognitive Denken ausgeschaltet und statt den Wasserhahn oder die Brause zum Löschen in die Hand zu nehmen, rannte ich zurück in die dunkle Küche, griff den ersten Eimer, den ich finden konnte und löschte mit dem Inhalt das Feuer. Hat gut geklappt – aber 1. roch danach das Bad nicht mehr nur nach verbrannten Kabeln und Plastik und 2. gab es an diesem Tag keine Brötchen mit Fleischsalat… Wegen des Ladens, der eigentlich alle wichtigen Lebensmittel und auch anderes vorhielt, kannte ich Supermärkte nur aus dem Urlaub. Auch den Globus habe ich erst spät mal von Innen gesehen. Den Handelshof dagegen kannte ich gut (heute glaube ich ein Rewe bei Mäckes – Richtung A 45 Nord). Dort holten wir als Weiterverkäufer Sachen, die uns nicht geliefert wurden – eben ohne Mehrwertsteuer. Ich musste für meine Süßigkeiten nur eine Treppe runter in unser Lager. Und für meine Cola in die Garage. Dazu auch noch eine Kleinigkeit: Es gab ja so von 1982 bis ca. 1985 diese Knibbelbilder von Coca Cola: da war ich natürlich eifriger Sammler. Ich konnte eigene Flaschen von den so dermaßen nach Weichmacher riechenden Plastikgnubbeln erleichtern und auch in den zurückgegebenen Pfandflaschen noch welche finden. Als mir aber zu einer Serie noch einige fehlten, war mir das nicht genug: Kurzerhand ging ich daran, auch die Bilder aus den geschlossenen Flaschen zu sammeln. Meine Eltern sind mir auf die Schliche gekommen, weil sich da wohl vermehrt Kunden beschwerten, dass ihre Flasche keine Kohlensäure mehr enthielt und auch nicht richtig schloss. Noch ein Letztes: Unser Wagen war mit Aufklebern des Milchanbieters „Tuffi“ beklebt. Da die morgendliche Route meiner Eltern pünktlich zum Schulbeginn auch am Staberg vorbeiging, haben sie mich mitgenommen. Ich sprang dann beim Zebrastreifen auf der Hochstraße immer aus dem Wagen, so dass ich für einige Zeit nur „Tuffi-Boy“ gerufen wurde… Durch diese ganzen Prägungen meiner Kindheit und Jugendzeit, habe ich heute immer noch ein – sagen wir mal – eigenes Einkaufsverhalten, was Lebensmittel und Supermarktbesuche angeht. Meine Frau meint lapidar dazu, dass sie ja „einkauft“, ich aber „shoppen“ gehe.
    So – für mein „erstes Mal“ war das vielleicht schon ein zu langer Kommentar…
    Herzlichen Dank für diese Aufbereitung meiner ganz eigenen Vergangenheit und ich freue mich mindestens auf die nächsten 60 Folgen…

    • Jan

      Wow, Fonz.
      Das sind ja großartige Geschichten, ich liebe das mit dem Fleischsalat! 🙂
      Vielen Dank für Deinen Kommentar!

  8. Matze

    Also ich bestelle meistens irgendwelche Spezialbiere im Internet. Bin da ziemlicher Nerd.
    Für Lebensmittel gehe ich immer noch in die stadt. Die ist hier im südlichen Baden Württemberg aber auch gut sortiert.
    @ Simon: Ich finde Car Sharing eignet sich auch hervorragend für Urlaubsreisen. Da zahlt man zwar ne Stange Geld, aber dafür muss man sich auch um nix kümmern, ausser die Karre zu buchen und ordentlich wieder ab zu geben.
    Hab seit 12 Jahren auch kein Auto mehr und vermisse nix.

  9. Wahnsinn, wie früh Simon und Sebastian schon bei Amazon bestellten. Ich habe erst Jahre später erfahren, dass es Amazon überhaupt gibt 😉

    In meiner Kindheit und Jugend in Düren hatte ich so feste Geschäfte, in denen ich einkaufen ging oder einfach rumhing. Eine Bücherei, ein Spielzeuggeschäft, einen Musikladen, einen Computerladen etc. Heute haben ich in Aachen an solchen festen Anlaufstellen abgesehen von Metzger und Bäcker nur noch den örtlichen Comicshop und meinen Wein- und Spirituosenhändler.

    Um heute noch Stammkunde zu sein, brauche ich eine persönliche Bindung an das Personal; es müssen sich schon einmal Gespräche ergeben usw. Ich hatte mal ne Weile eine neue Buchhandlung ausprobiert, aber dort war mir alles zu distanziert. Außerdem ist es cool, wenn Geschäfte einen überraschen können. Wenn da mal was steht, womit nicht rechnet, was nicht überall zu finden ist.

    Jedenfalls hat Eure Sendung wie so oft ein paar schöne Erinnerungen in mir geweckt.

  10. Mister Incredible

    Moin zusammen!

    Was für ein schöner Ausflug in die Welt des Konsums und Einkaufens. Die Zeit, in der wir als Kinder die bunte Warenwelt entdeckten und natürlich wie jeder kaum eine Vorstellung davon hatte, was wie viel kostete und was man sich leisten konnte, das hatte schon heftige Sehnsüchte produziert. Ich sage nur „Kettcar“ – den ich niemals bekam. Die Kataloge von Neckermann oder Quelle, die waren mit ihren vielen Spielzeug-Seiten wirklich immer ein Highlight.

    Als Boomer der 1960er Generation gab es da noch weit mehr Verzicht als vielleicht in den „Euren“ 1990ern, denn „wir hatten ja nichts“ galt damals buchstäblich. Aber wie auch immer, in Bremen-Nord gab es Hertie, ein wahrscheinlich dreigeschossiges Warenhaus mit den einzigen Rolltreppen weit und breit, somit war auch hier so eine „Fahrtreppe“ (so heißt sie korrekt) ein sensationelles Erlebnis. Ebenso wie in der Adventszeit der Märchenwald, den sie auf dem Dach errichteten, wo man durch Einwurf von 10 Pfennig die animierten Märchen-Dioramen zum elektrischen Leben erwecken und sich Geschichten erzählen lassen konnte. Das hatte schon seinen ganz speziellen Zauber.

    Steigern ließ sich das durch Horten in Bremens Stadtmitte, was mit meinen Eltern ein Highlight war, ein moderner Bau mit der damals üblichen durchbrochenen Kachel-Optik, jedoch innen zog sich eine schier unendliche Rolltreppenanlage über fünf oder mehr Etagen kreisförmig um einen Lichthof hin – da konnte einem vom Rolltreppefahren schwindelig werden.

    Die nötigen Lebensmittel kamen von „Edeka Schwarze“, einem kleinen patenten und sehr engagierten Lebensmittelhändler, der – als ich schon zur Schule ging -meine Mutter als Lebensmittelverkäuferin aus dem Familienleben „abwarb“, was trotz der Einschränkungen natürlich zu maßgeblich finanzieller Entspannung in der Haushaltskasse und mehr Konsummöglichkeiten führte. Mutti war gelernte Fotografin, und wer hätte ahnen können, dass ich einst meine Ausbildung im selben Fotoladen machen würde wo sie nach ihrer Flucht aus der DDR arbeitete – vor meiner Geburt?

    Das „Eckbrot“ (ein Graubrot) kam vom Bäcker Metag. Und mehr als einmal kam es vor, dass ich mit dem Auftrag Sahneschnittchen zu kaufen, statt dessen mit Buttercremeschnittchen zurückkam, weil die doch viel bunter aussahen. Die „Brause“ kam von Schlätzer & Sohn, einem örtlichen Softdrinkproduzenten, der damals auch „Florida Boy Orange“ herstellte, und wenn es an Sonntagen mal in ein Ausflugslokal ging, durfte ich sogar so etwas Exquisites wie „Anjola“ bestellen, eine Ananasbraue mit Fuchtstückchen in einer Glasflasche in Ananasform. Exotik pur.

    Lotto wurde von meinen Eltern immer gespielt. Es war beinahe eine Familientragödie, wenn mal jemand vergessen hatte den Lottoschein abzugeben, denn man befürchtete, dass nun „unsere Zahlen“ kamen und man so knapp am Reichtum vorbei schrammte. Die Lottoannahmestelle wurde von der ältlichen Frau Kraska mir gerolltem R betrieben, die auf ihrem Tresen ein schnurrendes Ungetüm aus gehämmerten blauschwarzem Stahl stehen hatte, mit einer roten und grünen Lampe oben drauf und einem Schlitz, in den die Lottoscheine mit den drei oder vier Durchschlägen eingeführt wurden. Dann leuchtete eine Lampe, dann machte es grrrrr-brrrrr, die andere Lampe leuchtete, und anschließend wurde der Lottoschein zertrennt und jede Kopie bekam ein eigenes Fach in einer nahezu antiken Holzschublade und eine für den Kunden als Beleg (gut aufbewahren). Frau Kraska war kurz nach jedem Weihnachten auch immer die Knaller-Fee, denn hier gab es Silvesterböller, die ich natürlich nur in Papas Anwesenheit kaufen (lassen) durfte, und beim Zünden auch nur vom Kinderzimmerfenster aus zugucken. Aber das war aufregend genug.

    Viel mehr Konsumtreiben gab es kaum…. als Schüler kaufte ich mir bei Hertie immer den Ensslin-Schülerkalender, der mich immer mit seinen Inhalten überraschte, was ein Schüler denn so alles wissenswert finden sollte. Ach ja, immerhin gab es das wöchentliche (?) Micky-Maus-Heft, sehr selten die lustigen Taschenbücher. Als ich die Fotografie per Spiegelreflexkamera entdeckte, Papas etwas merkwürdiger Kiste namens „Panorama“ mit nicht wechselbarem Objektiv, war es um mich geschehen. Durch Supermarkt-Werbezettel-Verteilen sparte ich mir an die 600 DM zusammen und dann wurde in genau dem Laden eingekauft, bei dem ich später mal meine Ausbildung beginnen sollte. Minolta – Japan war die Quelle für Foto, Optik, HiFi.

    1981 bis 1984 war ich im Foto-Meisterbetrieb erst Azubi, dann Angestellter, und dieser Laden war aus dem frühen 20. Jahrhundert an den damaligen schon alten Besitzer verkauft worden, dessen Sohn nun schon als Fotografen-Meister dabei und vermutlich wäre ich auch einer von denen gewesen, lieber Jan, der Dir hätte die tollsten Tricks der (analogen) Fotografie beibringen können. In unzähligen Regalwänden schlummerten Industriefotos von Bremer Werfen, Schiffen, Portraits und vieles mehr, zu großen Teilen noch auf Glasplatten-Negativen! In ebenso unzähligen Schubladen und Kisten staubten die absurdesten und seltensten Ersatzteile, Rollen, Spulen, Adapter und Projektionslampen vor sich hin, ausreichend um hin und wieder einen verzweifelten Kunden in Glückstaumel zu versetzen, weil das Gesuchte längst vom Markt verschwunden war. Soll es ein 24er oder 36er Film sein? Ach nee, geben Se mal einen 24er, der 36er dauert immer so lange bis er voll ist. 9×13 oder 10×15, matt oder glänzend? Das waren noch Zeiten! Wer weiß denn noch was Fotoecken sind? Oder 21 DIN / 100 ASA, später ISO? Vokabeln wie Kontaktabzug, Blitzwürfel, Leitzahl oder Diarähmchen – die Nomenklatur der vergessenen Dinge ließe sich hier ewig fortsetzen. Fotografie war damals noch angewandte Physik und Chemie – wie froh ich bin diese Zeit noch erlebt zu haben. Inzwischen ist der Sohn längst verstorben und hatte, wie ich hörte, den Fotofundus dem örtlichen Heimatmuseum übegeben, der Fotoladen ist Geschichte.

    Mangels Karriereoptionen im verschlafenen Bremen-Nord dann eine Bewerbung bei der Karstadt-Aktiengesellschaft in Essen und – sofort erfolgreich, Trainee-Programm zum Abteilungsleiter Fotoabteilung, die es noch gab. Schnell bemekte ich welch fundierte Ausbildung ich genossen hatte, im Vergleich zu dem was mir sonst als Expertise meiner Mitarbeiter begegnete. Aber ich durfte ja auch Warenkundeunterricht geben und meine Kenntnisse weiter vermitteln. Mehrere Umzüge, Recklinghausen, Hannover, Berlin (direkt nach dem Mauerfall – was war das aufregend): „Isch dääd misch do mol füor söne Boo-loo-ro-it-Gommero indrässiorn“, die Umsätze explodierten, dann nach Köln und die Digitalisierung erfasste auch den Fotosektor, am Ende darbte ich mit Uhren und Schmuck und wusste – es ist Zeit zu gehen. Luftverker. Gute Entscheidung. Schaue ich heute auf die Warenhäuser, dann gruselt es mich, wenn ich überlege, ich hätte den Wechsel nicht vollzogen.

    Mitten in der bunten und verführerischen Warenwelt zu arbeiten hatte seine Nachteile, denn man konte sein Gehalt – rabattiert – mit Mitarbeiterschecks auf den Kopf hauen. Wirklich böse, aber – auch Rabattiertes kostet am Ende Geld. Disziplin musste gelernt werden.

    Handel ist Wandel und was das Onlineshopping alles noch mit dem stationären Einzelhandel anstellen wird, sehen wir gerade wohl nur in Anfängen. Von vier Warenhauskonzernen – Karstadt, Kaufhof, Hertie, Horten – ist nur noch ein fusionierter Laden übrig und auch dem droht über kurz oder lang das Aus. Die Ära das Konsumtempel scheint zu enden und damit auch das Erlebnis des Anfassens vor dem Kauf. Wie Simon schon sagte: es reicht nicht den Wandel zu betrauern, wer nur online bestellt, der arbeitet mit am Niedergang des stationären Einzelhandels. Damals um 1996, haben wir in Köln das gegenüber liegende Hertie-Haus „abgewickelt“ und deren übrig gebliebene Waren verramscht.

    Hast Du denn heute noch das Auto, lieber Sebastian, um Getränkeflaschen nach Haus zu fahren? Das wurde ich gelegentlich auch schon mal gefragt im Kollegenkreis, wenn ich angab kein KFZ zu besitzen und dieses auch gar nicht zu wollen. „Und wenn du mal eine Kiste Wasser…?“ Korrekt: dann kann ich mir diese vom Taxi nach Haus fahren lassen. Ich habe zwei Supermärkte in fußläufiger Entfernung, in 20 bis 25 Minuten zu Fuß erreiche ich die ganze Düsseldorfer Innenstadt. Ein Hackenporsche von Andersen leistet mir hier beste Dienste, ein echter Großraumshopper, der locker 20 bis 30 kg bewegen kann. Das wäre meine wärmste Empfehlung, und natürlich der Verzicht aus das Auto.

    Oh, wie sehr kann ich es nachempfinden, als von der 10-Jahres-Winterjacke gesprochen wurde! Vermutlich brauche ich mir bis zu meinem Ende keine neuen Jacken mehr zu kaufen. Schuhe für den Dienst in Uniform bestelle ich, immer dieselben, bei Clarks online, passt immer. Dasselbe mit Jeans, Levis 505, Einheitsgröße, Khaki Einheitsfarbe, immer im Dreier- oder Sechserpack aus den USA mitzubringen. Fertig. Heute bin ich sehr froh nicht oder nur wenig dem Modeterror zum Opfer gefallen zu sein.

    Wer weiß wie es weiter geht? Gekauft und konsumiert wird immer, jedoch sehen wir die Grenzen unseres Über-Konsums immer deutlicher. Ob wir in der Lage sind uns zu mäßigen, mag ich nicht einschätzen – aber optimistisch bin ich nicht sehr. Der „Konsum“ der Rückspultaste kostet zum Glück nur ein wenig Ökostrom *lg*.

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